Cranio Sakral Therapie. HEXEREI! – Die dritte Frau
 

Cranio Sakral Therapie. HEXEREI!

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Ich glaube nicht an sowas. Eigentlich. Absoluter Blödsinn. Aber ich probiere es mal.

Cranio Sakral-Therapie heißt es und ist eine Art „Handauflegen für Fortgeschrittene“. Damit bringt man angeblich wieder alle Körperschwingungen in Einklang und kann körperliche und seelische Leiden mildern. Ich bin skeptisch. Nach einer missglückten Reiki Sitzung vor drei Monaten erwarte ich mir diesmal nicht allzu viel. Die Strassenbahn ruckelt leicht und wiegt mich sanft hin und her. „Ich bin ein Grashalm der sanft im Wind wogt“ denke ich mir und stelle mir vor wie das wohl werden wird in meinem nächsten Leben. Als Grashalm eben. Ob man da auch Gefühle hat? Werde ich mich mit einer netten Ameise anfreunden? Oder werde ich es gar mit einer Biene treiben? Meine Gedanken wandern wieder zu meiner bevorstehenden Cranio-Sitzung. Meine Knie zittern ein wenig. Die Nervosität! Fast bin ich mir sicher, dass mich eine 30-jährige, langhaarige Frau begrüssen wird, die einen Aufkleber „Jesus liebt dich“ auf ihrem Schreibtisch kleben hat. Möglich wäre es, das sie ausschliesslich Hanfgewand trägt. Ihr Büro hat sie sicher dekoriert mit Traumfängern, kleinen Buddhastatuen und Bildern des Dalai Lama. Oh mein Gott, auf was habe ich mich da wieder eingelassen. Fast bereue ich es schon, dass ich mich angemeldet habe. Und was, wenn es keine Frau sondern ein Mann ist? Einer der über sexuelle Energie redet und mich unsittlich an den Ohren berührt!?

Meine Knie schlottern noch ein wenig mehr, als ich aussteigen möchte. Schritt für Schritt zwinge ich mich weiterzugehen. Würde ich meinen Impulsen folgen, wäre ich schon vor fünf Minuten schreiend aus der Strassenbahn gestürzt und jetzt wohl im Gewahrsam der Polizei. Nur noch wenige Schritte trennen mich von der Praxis. Ein schlichtes Schildchen weist mir den Weg. Mitten in einer sauberen Wohnanlage hängt ein weiteres Schild. Dem Namen nach sicher ein tschechischer Guru. Eine Welle der Angst überkommt mich. Keine Ahnung warum ich so fertig bin! Es passiert hier doch nichts. Niemand tut mir weh. Bei mir reicht das Wissen zu einem Arzt zu gehen schon aus, um Panik zu schieben. Nachdem ich ein paar Male tief durchgeatmet habe, öffne ich die weiße Tür. Augenblicklich stehe ich in einem freundlich gestalteten Vor- und Wartezimmer. Helle Farben und einige Hauspantoffeln. Alles in dieser zur Praxis verströmt Ruhe und es duftet nach Aromaöl. Meine Unruhe legt sich ein wenig. Ich tausche meine Strassenschuhe gegen ein Paar der Gästepantoffeln. Aus den Behandlungsräumen dringen gedämpfte Stimmen die sich langsam auf die Tür zu bewegen. Mit einem leichten Quietschen öffnet sich die Tür zu meiner Linken und zwei junge Frauen verabschieden sich leise voneinander. Eine der Beiden mustert mich freundlich „Sie sind die Nächste?“

„Ja?“ antworte ich zögerlich. Ich bin mir plötzlich nicht mehr sicher ob ich wirklich die Nächste sein will.

„Sie haben heute bei mir ihre Cranio Sitzung.“ Aufmunternd nickt sie mir zu und deutet mir, ihr ins Zimmer zu folgen. Eigentlich ist bis jetzt alles ganz anders als ich es erwartet habe. Meine Ärztin ist eine sportliche, schlanke Frau um die 30 mit langen blonden Haaren und feinen Gesichtszügen. Ihr Outfit besteht aus einer dunkelblauen Jeans, einem grauen Tanktop und eine schlichte schwarze Kette komplettiert das ganze. Flauschige Pantoffel zieren ihre Füsse. In der Mitte des Zimmers steht ein großer Massagetisch. Alles ist geschmackvoll eingerichtet und hell. Die Frau Doktor lotst mich zu einem winzigen Schreibtisch in der Ecke des Raumes und zückt ein leeres Blatt Papier auf das sie meinen Namen schreibt.

„Wenn Sie mir vielleicht ein wenig zu Ihrer Anamnese sagen könnten? Weshalb sind Sie hier – was erwarten Sie sich – welche Fragen haben Sie an mich?“

Sie ist so umwerfend freundlich, dass ich auch noch meine letzte Scheu ablege und ihr meine Probleme mit dem Morbus Crohn, meinen Verspannungen, meiner Seele und meinen Kopfschmerzen erzähle. Es fließt wie von selbst aus mir heraus und verfestigt sich auf ihrem Blatt Papier wieder zu einer Masse.

„Da Sie sicher wissen wollen was gleich passieren wird, erkläre ich es Ihnen. Also das Wirkungsgebiet der Cranio-Sacral Therapie sind Blockaden der Wirbelsäule und Störungen des Knochengefüges. Mit meinen speziellen Griffen und Berührungen rege ich die Selbstheilung des Körpers an und kann Verletzungen aller Art, Störungen, physische und psychische Traumata, körperliche und seelische Schockzustände lindern. Sie werden es sicher schon nach der ersten Behandlung merken. Keine Angst, es tut auch nicht weh. Das Ziel der Therapie ist die Wiederherstellung einer harmonischen, symmetrischen, kräftigen, aber ruhigen Ausbreitung des Cranialen Impulses über den gesamten Körper. Nach einer gewissen Zeit (15 – 20 Minuten) kann eine so tiefe Entspannung erreicht werden, dass viele Patienten den Alphazustand erreichen. Sie sehen dabei Bilder, manche schlafen kurz ein, Gefühle oder Erinnerungen können hochkommen. Jedenfalls kehren sie erfrischt wie aus einem kurzen Tiefschlaf wieder zu mir zurück. Anstrengende Tätigkeiten sollten Sie aber kurz nach der Behandlung lieber lassen. Sie werden sich etwas „entrückt“ fühlen.“

Sprachlos sitze ich da. Nein, das glaube ich wirklich nicht. Die redet sicher Quatsch. Das kann ich mir nicht vorstellen. Das ist ganz sicher wieder so ein esoterischer Scheiss. Schulterzuckend lege ich mich auf den Massagetisch und staune nicht schlecht als die Therapeutin sanft meine Füsse drückt. Aha – eine Fetischistin also. Ich wusste es! Auch egal- so kann ich wenigstens eine Stunde schlafen. Langsam wandern die Hände der Frau weiter hinauf. Sanft drückt sie mir den Bauch, das Brustbein, fährt leicht über meine Stirn. Oh, mein GOTTTTTTT! Was ist denn das? Mein Magen rumpelt unanständig vor sich hin, mein Herz rast, Kälteschauer zucken durch meinen Körper und in meinem Kopf purzeln plötzlich die Bilder durcheinander. Es fühlt sich ein bisschen so an als hätte jemand anders die Kontrolle über meinen Körper. Eine Druckwelle saust über meinen Kopf hinweg. Also wenn es jetzt nicht Zeit ist für eine Selbsteinweisung in eine Klinik, dann weiß ich es auch nicht. Ungläubig reiße ich meine Augen auf und fixiere die zierliche Frau. Das gibt’s doch nicht. Ich kann es nicht glauben. Sie tut nichts anderes als mich sanft zu berühren. Und doch fühlt es sich an als würde ein Feuersturm durch meinen Körper fegen. Leicht irritiert berichte ich ihr von meinen Empfindungen. Ich soll mir keine Sorgen machen, das ist völlig normal und gut – bekomme ich zur Antwort. Schnell klappe ich meine Augen wieder zu. Normal??? Ich drehe hier gerade total ab und sie meint das ist OK? Muss ich mir erst die Kleidung vom Leib reißen und die Wände mit Kot beschmieren damit sie merkt, dass ich hier völlig neben mir stehe? Völlig ungerührt nimmt sie meine rechte Hand und plötzlich tut mir alles weh – es fühlt sich an als ob ich eine Spritze drin stecken hätte. Völlig unkontrolliert strömen mir die Tränen herunter. Mann, mann, mann… was ist denn nun schon wieder los? Verwundert taste ich nach meinem Gesicht und befühle die tränennasse Wange. Langsam aber sicher wird es unheimlich. Es bekommt alles irgendwie eine Eigendynamik.

Gruselfaktor: hoch 10!

Minuten später spüre ich, wie ich weggleite. Die Matratze saugt mich in sich hinein. Alles wird weich und dumpf. So muss sich eine Hypnose anfühlen. Unfähig, auch nur einen Finger zu bewegen, beruhige ich mich immer mehr und spüre meinen Herzschlag langsamer werden. Auf meiner Haut prickeln die Berührungen der Ärztin. Mein Kopf wird angehoben und schwebt schwerelos durch den Raum. Sanfter Druck auf meine Schläfen lässt in meinem Kopf kleine farbige Blitze tanzen. Ãœberwältigt von diesen aussergewöhnlichen Erlebnissen lasse ich meine Gedanken schweifen. Von weit her höre ich eine Frauenstimme: “Gleich sind wir fertig. Versuchen Sie bitte langsam zurückzukommen bevor sie aufstehen. Wenn etwas nicht OK ist – bitte sofort sagen.“ Wie in Zeitlupe rapple ich mich auf.

Aufgepaaaaaaassst… Madame landet auf Bahn Nummer drei. Bitte treten Sie zurück. Total benommen sitze ich am Rand des Massagetisches und komme nur sehr langsam wieder zurück ins reale Leben. Jetzt verstehe ich auch warum man nach so einer Sitzung nicht Auto fahren sollte. Ich würde höchstwahrscheinlich Zäune, Menschen und zahme Hunde zusammenführen. So richtig im Griff habe ich mich nicht. Taumelnd erhebe ich mich und unterschreibe zittrig meine Ãœberweisungskarte inklusive dem neuen Termin. Ich verabschiede mich wie unter schweren Drogen von meiner Therapeutin die mich besorgt anlächelt. Mein Kopf ist herrlich leer und jeder einzelne Muskel ist entspannt. Kann man nur hoffen, dass ich mit meinen Puddingknien noch zum Treffpunkt komme, an dem mich Igor abholt.

Ich schaffe es irgendwie ins richtige Auto zum richtigen Mann zu klettern. Dann stoppe ich die Zeit. Mein „Zustand“ dauert 15 (!) Minuten an. In diesen 15 Minuten habe ich meinen Finger in den Zigarettenanzünder gesteckt (dachte es wäre der Aschenbecher), die Klimaanlage auf „Subtropen“ gestellt (mir war plötzlich eiskalt), mir den Kopf am Rückspiegel gestossen (hab ich nicht gesehen) und bin einige Male einfach weggenickt (tja – ich war eben erschöpft). Klarerweise muss sich Igor fragen, was diese Ärztin mit mir angestellt hatte. Aber da ich keine vergrösserten Pupillen hatte und auch nicht versucht habe meine Schnürsenkel zu essen, macht er sich schlussendlich keine allzu großen Sorgen.

*Mittlerweile habe ich schon etwa 10 Stunden absolviert und bin wahnsinnig froh diese Therapieform für mich entdeckt zu haben. Ich freue mich immer unbändig darauf und geniesse diese Stunde in vollen Zügen. Oftmals reagiert mein Körper sehr heftig, aber niemals ist es erschreckend oder gar beklemmend. Mein Morbus Crohn ist so gut wie nicht mehr vorhanden und auch meine Stimmungsschwankungen habe ich viel besser im Griff. Unglaublich, aber wahr! (Bei seelischen Problemen natürlich nur im Zusammenspiel mit einer Psychotherapie.) Ich kann diese Form der Behandlung nur jedem empfehlen.

Bewertung: 5 von 5 Tangas